Kultur+Soziales / VinziRast am Land

überblick:

VinziRast am Land - boden unter den füßen

status: realisiert

jahr: 2023

ort: a – 2534 alland, mayerling 1

ausgezeichnet mit
Kulturpreis des Landes Niederösterreich 2022 in der Kategorie Architektur

nominiert für
Architekturpreis Constructive Alps 2022
Piranesi Award 2023

 www.facebook.com/vinzirast

www.vinzirast.at/am-land

auf der liegenschaft mit der adresse mayerling 1 befindet sich das in konkurs gegangene ehem. hotel hanner. hier entwickelt sich nun ein neues wohn- & beschäftigungs-projekt der Vinzenzgemeinschaft St. Stephan (bekannt unter „VinziRast“) zur inklusion obdachloser menschen. in seinem mittelpunkt steht der betrieb einer landwirtschaft nach dem prinzip der marktgärtnerei. drum herum siedelten sich im laufe der projektentwicklung immer weitere funktionen an, die in verbindung zu diesem zentralen inhalt, zu den möglichkeiten, die der bestand bietet oder in verbindung zur nachbarschaft stehen.

architektur für´s mit-und-durch-ein-ander / am beispiel des planungs- & bauprozesses zur neuen VinziRast am Land wird sichtbar, was architekturschaffen zu leisten vermag, wenn es chancen abseits des „zeichenbretts“ identifiziert und sich zunutze macht – gegen marginalisierung und für eine inklusive gesellschaft, für den sorgsamen umgang mit ressourcen, für eine zukunftsweisende architektur.

das angewandte „lösungsmittel“ oder keyword dazu: hybrid

das projekt – obwohl noch nicht fertiggestellt – wurde bereits in die neue dauerausstellung über österreichische architektur des Architekturzentrum Wien AzW „Hot Questions – Cold Storage“ aufgenommen, für den Constructive Alps Award nominiert und mit dem niederösterreichischen Kulturpreis in der kategorie Architektur ausgezeichnet.



isabella marboe schreibt 2022 im spectrum darüber:

Ein Landhaus für Unbehauste

In Mayerling baut das Architekturbüro gaupenraub+/- das ehemalige Luxusdomizil Restaurant-Hotel-Meetingpoint „Hanner“ zur VinziRast am Land um. Wo früher die Randruppe der Habenden residierte, sollen sich nun Obdachlose Menschen bei der Arbeit mit Pflanzen und Tieren wieder erden können. Auch andere werden hier einen Platz für sich finden. 

Mayerling 1 war einmal eine erste Adresse. Scharenweise pilgerten Gourmets zum „Hanner“ im Wienerwald, wo Heinz Hanner auf Drei-Hauben-Niveau kochte. „Ich bin in Mayerling 2 aufgewachsen“, sagt DI Ludwig Koch, Bürgermeister von Alland, zu dem die Katastralgemeinde Mayerling zählt. „Heinz Hanner war mein Nachbar, wir spielten hier gemeinsam Tennis.“  Restaurant und Seminarhotel zählten zu Relais & Châteaux und Les Grandes Tables du Monde. Wo früher der Tennisplatz war, ist heute ein Hühnerstall. „Hauptsache, kein Leerstand“, sagt Koch. „Das ist das Schlimmste für eine Gemeinde.“ Nun baut das Architekturbüro gaupenraub+/-  das einstige Luxusdomizil zur VinziRast am Land um. Dort sollen Unbehauste wieder Boden unter den Füßen finden. Im Herbst lud die VinziRast zum Fest. Freiwillige und Obdachlose verkochten Gemüse vom eigenen Feld und führten über das Gelände. Viele aus der künftigen Nachbarschaft kamen, auch Bürgermeister Koch war da. Ein klares Statement zum Projekt.

Umgeben vom Wienerwald, steht die Jausenstation Marienhof seit den 1930ern an der Straßenkehre Mayerling 1. Ein sympathisches Haus, weiße Holzfassade, grüne Fensterläden, Schleppdach mit Gaupe. 1972 bauten Hanners Eltern rückseitig ein Hotel an, das sich den Bestand teils einverleibt und ihn umspült. Etwa 30 Meter lang, elf Meter breit, drei Geschosse, die Dächer gehen ineinander über. 1989 kochte sich Sohn Heinz zur ersten Gault Millau Haube und erweiterte den Betrieb um einen Hoteltrakt. Etwa 19 x 16 Meter im Grundriss, vier Geschosse, Hanner bewohnte das Penthouse unterm Satteldach, 2004 wurde der Betrieb zum Restaurant-Hotel-Meetingpoint Hanner mit Goldfischteich und Hubschrauberlandeplatz. 2016 musste er schließen, 2018 kaufte die ZMI GmbH, eine Privatstiftung von Hans-Peter Haselsteiner, die Liegenschaft aus der Konkursmasse und gab dem Obdachlosenverein Vinzenzgemeinschaft St. Stephan ein Nutzungsrecht.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner von gaupenraub+/- planten viel für die VinziRast, immer im Bestand. 2004 die VinziRast Notschlafstelle, 2009 eine VinziRast-WG, 2013 machten sie ein Eckhaus in Währing zur VinziRast mittendrin. Dort leben Studierende mit Obdachlosen in zehn WGs, am Dach gibt es einen Seminarraum, zu ebener Erde das Lokal ,mittendrin‘, das künftig von der VinziRast am Land sein Gemüse beziehen soll. Auch dieses Haus hat Hans-Peter Haselsteiner für die VinziRast erworben. Jetzt gehört es dem Verein, der es mit Spendengeldern umgebaut hat.

An einem nasskalten Tag im November 2018 fuhren gaupenraub+/- und der Vorstand der VinziRast erstmals nach Mayerling, es war gespenstisch. Einrichtung, Möbel, Lampen, alles da. In den Zimmern überzogene Betten mit toten Fliegen drauf. Davor war alles auf den schönen Schein aus gewesen. Am Boden Laminat in Mooreichenoptik, an den Wänden Natursteinimitat aus Zementfliesen, an den Decken abgehängter Gipskarton. „Es war sehr traurig, überall wurde sichtbar, dass da jemand gescheitert ist“, sagt Alexander Hagner. Der Marienhof als Nukleus des Bestands wurde ständig erweitert und ein Bauteil in den anderen geschoben. Es gibt lauter verschiedene Niveaus, daher ist die Erschließung sehr eigenwillig. Das Stiegenhaus am Eck des Hoteltrakts der 1990er wird zum Anker, von dem lange, schmale Gänge mit Stufen und Zwischenpodesten ihre Haken zwischen Bauteilen und Zimmerfluchten schlagen. „Man verläuft sich ständig“, sagt Ulrike Schartner. „Wir suchten wie die Trüffelschweine nach Qualitäten.“ In Hanners Gastroküche wurden sie fündig. „Das ist der stimmigste Ort, ein Rolls Royce unter den Küchen und ein toller Raum. Die Köche schauten hier parapetfrei von den Zehenspitzen aufwärts in die Landschaft.“ Es ist derselbe Blick über Alland, den man auch vom Maierhof hat. Nach Westen, zur Abendsonne. Die Küche bekommt noch eine neue Terrasse, sonst bleibt alles gleich.

Insgesamt 77 Betten in einem Gebäudekonglomerat mit 3.500 m² Nutzfläche, dazu 2,7 ha Grund. Die Architekten waren geplättet von der schieren Größe des Bestands, dann traten sie die Flucht nach vorne an. Sie erweiterten die VinziRast noch um 700 m² Glashaus, etwa 98 m² Stall und 150 m² Volieren für Vögel. Dennis Reitinger, ein Boku-Absolvent, legt hier eine Permakultur an, bis auf die Samen ist nichts zu zukaufen. Seit zwei Jahren lebt er auf der Baustelle, Freiwillige und Obdachlose aus der VinziRast mittendrin leerten den Bestand, rodeten, jäteten und pflanzten, das Glashaus fand per Crowdfunding nach Mayerling, ein Maler aus Etsdorf am Kamp spendete eine leerstehende Feldscheune. Über 40 Schülerinnen und Schüler sowie Lehrer der HTL Mödling demontierten ihn im Rahmen der Ausbildung und bauten ihn als Luxusherberge für Hühner wieder auf. Deren Kot ergibt den besten Dünger für die Pflanzen in den Glashäusern, wo man fast das ganze Jahr über Gemüse ernten, verkaufen und verarbeiten kann.

gaupenraub+/- kehrten einen Ort für besonders Wohlhabende in einen für Obdachlose um, alle Verkleidungen mussten runter. „Wir brauchen hier tragfesten Grund, kein Fake.“ Der Bestand wird auf seine Struktur zurückgeführt, alle Leichtbauwände entfernt, Durchbrüche geschaffen, damit man in die Umgebung blicken und sich besser orientieren kann. Der Betonschneider hat viel zu tun, Peter Bauer vom innovativen Statikbüro werkraum wien hat viel zu rechnen. Alles, was Identität stiftet, wird verstärkt. Der Bezug zur Natur und die Heterogenität des Bestands – je unterschiedlichere Räume und Situationen, umso mehr Menschen werden sich wohlfühlen. Synergien finden sich zuhauf: So hat das Stift Heiligenkreuz oft zu wenig Betten für Pilger und kann das Altersheim in Alland die Hotelwäscherei nutzen.

Die Zimmer sind zwischen 12m² und 30 m² groß. In letzteren wurden die Interiors maßgetischlert, unter den großzügigen Bettpodesten aber ist kein Boden mehr. Das wird nicht mit Eichenparkett gefüllt, sondern einfach geflickt. Ehrlichkeit ist angesagt – und Mut zur Lücke. Das Zimmer mit der türkis verfliesten Badezimmerkapsel, die wirkt, als ob sie für Barbella gemacht wäre, findet sicher Fans, andere Ex-Hotelzimmer muss man zu Kleinwohnungen für etwa 30 Obdachlose adaptieren, die hier ständig leben. gaupenraub+/- entscheiden über das Schicksal jedes Zimmers und nutzen, was brauchbar ist. Denn ein ungeahnt großer Teil des Budgets fließt in Mängelbehebung. So gingen Grau- und Regenwasser in denselben Kanal, waren die Brandabschnitte nicht korrekt abgetrennt, musste der Lift behördlich gesperrt werden, weil sich Entlüftungsgitter über dem Maschinenraum als Fake entpuppten. Das zehrt am betagten Ehepaar Hanner. Es wollte kein Ausweichquartier und wohnt nun auf der Baustelle. Doch ein Ende ist absehbar. Im Sommer 2022 soll die VinziRast am Land fertig sein. Dann werden Rankgitter an der Fassade dafür sorgen, dass der inhomogene Bestand bewachsen und so zu einem Teil des Wienerwaldes wird.

 Text: © https://www.vinzirast.at/projekte/vinzirast-am-land/

© michael nagl

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